Das falsche Eis

Ich erzähle von einer Erfahrung mit meinem Sohn, der in einer Eisdiele wütend wurde, weil er kein Eis mit Alkohol bekommen durfte. Dabei wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, seine Gefühle anzuerkennen und ihm den Raum zu geben, seine Wut zu erleben, anstatt sie zu unterdrücken. Durch diese Begleitung lernt er, seine Emotionen besser zu verstehen und auszudrücken, was ihm langfristig hilft, emotional stark zu werden.

Umgang mit Wut und Enttäuschung

Es war ein heißer Sommertag. Mein kleiner, damals 2 ½ – jähriger Sohn hatte seit ein paar Wochen Eis für sich entdeckt. Also machten wir uns auf den Weg zu einer Eisdiele. Er freute sich schon und er suchte sein Eis immer nach Farben aus. Diesmal hatte er beschlossen, ein gelbes Eis zu essen. Vor der Eisdiele saßen überall Menschen und genossen das schöne Wetter bei einem Eis. Auch beim Anstellen wurde die Schlange hinter uns immer länger. So, nun endlich waren wir an der Reihe. Gelbes Eis. Mein Sohn zeigte zielsicher auf eine Sorte. Da sagte die Verkäuferin: „Oh, das ist mit Alkohol.“ Also sagte ich meinem Sohn: „Schatz, da ist Alkohol drin, das kannst Du nicht essen. Magst Du Dir eine andere Sorte aussuchen?“ Und es passierte das, wovor ich mich innerlich doch immer fürchtete: mein Sohn ließ seiner Wut freien Lauf. Und zwar so richtig. Er wütete und schrie und versuchte mich zu hauen. Ich konnte ihn ein wenig beruhigen, er hat sich etwas widerwillig ein anderes Eis ausgesucht, aber kaum haben wir draußen mit dem „falschen Eis“ gesessen, ging es weiter: Toben, Schreien und der Versuch, das Eis vom Tisch zu schleudern. Ich nahm ihn auf den Arm, nahm das Eis und bat die Verkäuferin, es nochmal kalt zu stellen. Alle Blicke waren auf uns gerichtet. Ich spürte förmlich die „Erwartungen“ der anderen Menschen (sicherlich nicht von allen, aber dennoch von der Mehrheit). Ich ging mit meinem schreienden Kind auf dem Arm um eine Ecke, damit wir etwas ungestört waren.

Ich hatte mich schon viel mit dem Thema „Wut bei Kindern“ und die richtige Begleitung beschäftigt. Und ich darf an dieser Stelle erwähnen, ich habe ein sehr gefühlsstarkes Kind. Damals war mir der Unterschied zwischen „ich kann den Raum für mein Kind in seiner Wut halten“ und „ich kann den Raum WIRKLICH halten“ noch nicht bewusst. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben und Verständnis zu zeigen. Es gelang mal mehr und mal weniger gut. Dennoch erlebte ich oft diese innerliche Ohnmacht. An diesem Tag war es zum ersten Mal anders: Ich konnte mein Kind fühlen. Ich hatte Verständnis, dass es einfach für ihn richtig schlimm war, genau dieses gelbe Eis nicht zu bekommen. Ich konnte das erste Mal meine Gefühle dabei von seinen „abkoppeln“. Was ist überhaupt Alkohol? Warum darf ich das nicht essen? Ich versuchte, es ihm kindgerecht zu erklären. Und das Wichtigste: ich versuchte NICHT, seine Wut „wegzumachen“. Und das hat er gespürt. Er hat gespürt, dass seine Wut eine Berechtigung hat und dass sie da war und dass ICH stabil da war und es halten konnte. Und plötzlich beruhigte er sich. Ich hab ihn gedrückt, die Tränchen weggewischt und wir sind zurück zur Eisdiele gegangen und natürlich hat er sein Eis zurück bekommen. Ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich an die Blicke der Menschen zurückdenke. Ab diesem Tag hat er noch lange, jedes Mal, wenn wir Eis essen waren, gefragt: „Mama, ist da Alkohol drin?“ – und es war kein Thema mehr, wenn er eine Sorte nicht bekommen konnte.

Ich glaube, wir dürfen uns öfter in die Wut des Kindes hineinversetzen und die Welt mit den Augen des Kindes sehen. Wie fühlen wir uns, wenn wir Gefühle haben, diese zeigen und dann auf Ablehnung und „Wegmachen“ stoßen? Besser oder schlechter? Wie fühlen wir uns, wenn wir das Gefühl haben, uns nicht zeigen zu können, weil wir dann „schlechte“ Gefühle oder Unbehagen in unserem Gegenüber auslösen oder sogar bestraft werden, wenn wir sind, wie wir sind? Wie lernt ein Kind mit starken Gefühlen umzugehen? Indem wir versuchen, sie „wegzumachen“? Indem wir es bestrafen? Wenn wir selbst in diesen Momenten in unseren Gefühlen gefangen sind und die Gefühle des Kindes dann „wegmachen“ wollen, gestehen wir dem Kind seine Gefühle nicht zu und machen es zusätzlich noch für unsere Gefühle verantwortlich. Meine Erfahrung hat mir immer wieder gezeigt: je besser ich mit meinen Gefühlen und dem, was es in mir auslöst, umgehen kann, desto stabiler bin ich, desto schneller kann ich die Gefühle des Kindes von meinen abkoppeln und umso besser kann ich den Raum für mein wütendes Kind halten. Ich muss die starken Gefühle nicht „wegmachen“ und plötzlich, wie von Zauberhand, beruhigt es sich immer schneller.

Ich finde es wichtig, starken Gefühlen den Raum zu geben, sie nicht „wegzumachen“ und dem Kind das Gefühl zu geben: „Es ist ok. Es darf da sein.“ Denn unterdrückte Wut sucht sich irgendwann einen anderen Raum, mal früher, mal später. Es ist, als würde man auf einen brodelnden Vulkan einen Deckel legen: irgendwann platzt es nur noch heraus (viele Erwachsene kennen das). Wir dürfen unseren Kindern ihre Gefühle zugestehen und wir dürfen vertrauen, dass sie lernen, gesund mit ihren Gefühlen umzugehen. Und sie lernen es, in dem wir sie ruhig und stabil begleiten und das Gefühl da sein lassen. Es ist nun mal da.

Ich möchte an dieser Stelle noch etwas erwähnen, damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Natürlich sollen wir in der Wut Wege anbieten, die den Ausdruck der Wut erlauben, aber andere nicht verletzen (körperlich oder verbal), das ist selbstverständlich. Und natürlich heißt das nicht, dass das Kind alles bekommt und jeder Wille durchgeht, wenn es wütend ist. NEIN! Aber selbst, wenn wir etwas nicht erlauben, wir liebevoll und konsequent NEIN sagen, hat die Wut darüber seine Berechtigung. Und es heißt auch nicht, dass wir Erwachsene nie wütend sein dürfen, um den Kindern ein gutes Vorbild zu sein. Aber wir dürfen vorleben, wie wir gesund mit unseren Gefühlen umgehen , ohne andere dabei zu verletzen. Und dann entwickeln sich Kinder und später Erwachsene, die ihre starken Gefühle benennen können, die wissen, wie sie mit ihnen umgehen und sie ausdrücken können. Das ist für mich ein wichtiger Aspekt der Selbstliebe und Selbstachtung.

Übrigens ist das „Hauen“ und „Schlagen“ in der Wut bei Kleinkindern sehr clever, denn der Körper versucht die Wut über das Nervensystem reflexartig abzubauen/rauszulassen. Kleine Kinder müssen erst lernen, dass es andere Wege gibt, die Wut abzubauen. Hier heißt es: üben, üben, üben und immer wieder andere Wege anbieten und erklären. Mein Sohn ist mittlerweile 4 Jahre alt und er macht das schon verdammt gut.

Susi

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